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Andrea Wippermann - Jewelry Artist

Texte...


Texte: andrea wippermann

Perlen

Die kalte Schönheit des Winters ist faszinierend

Die Bäume sind kahl, skelettartig. An den Büschen glänzen weiße Beeren als letzter Gruß des vergangenen Sommers. Kargheit und Melancholie. Manchmal fühlt sich das Leben so an.

Eine beliebte Beschäftigung in Kindertagen war es, diese weißen Beeren, wir nannten sie Knallerbsen, auf den Boden zu werfen, um sie dann mit einem Knall zu zertreten.

Wenn ich diese kahlen Büsche mit den leuchtenden Früchten sehe, erinnere ich mich daran.

Außen scheint alles kalt und leer zu sein, aber im Inneren schläft die Kraft und wartet auf den Frühling. Den jährlich wiederkehrenden Wandel der Jahreszeiten empfinde ich immer wieder intensiv.

Für den Winterschmuck wählte ich Edelstahl. Er wirkt kalt, eher unnahbar, ist zäh und hart.

Ich bearbeitete das Metall so, dass es entgegen seiner gewohnten, technoiden Ausstrahlung organisch und warm wirkt. In Verbindung mit den sanft weiß schimmernden Akoya Perlen kommt Schneebeeren I+II/Snowberries I+II diesem Wintergefühl nahe.

Anders wirkt Schneeneeren/Snowberries mit Silber und Akoya Perlen. Die 835er Silberlegierung enthält mehr Kupfer als die heute gebräuchliche. Das Kupfer oxidiert beim Erhitzen zu wunderschönen Brauntönen und verleiht den mit Silberstreifen umwickelten Ästen einen warmen, naturnahen Touch. Die zarten Perlen unterstreichen diese Anmutung.


Vanitas

Der Halsschmuck Vanitas ist eine Reminiszenz an die Portraits von Cranach (dem Älteren und dem Jüngeren). Diese strahlen eine große Schönheit aus. Alles ist ideal – die Pose, der Gesichtsausdruck, die prunkvollen Kleider, der prächtige Schmuck. Diese Personen sind auf dem Höhepunkt ihrer Vitalität und für die Ewigkeit so festgehalten. Die Farbpalette wird dominiert von kräftigen Tönen und ist doch delikat.
Der schöne Schein ist trügerisch. Alles vergeht, wie auch diese Personen längst in einen anderen Aggregatzustand übergangen sind.
So beschreibt das Sonett „Es ist alles eitel“ des barocken Dichters Andreas Gryphius aus dem Jahr 1637 diese Gedanken:

Du sihst / wohin du sihst nur Eitelkeit auff Erden.
Was dieser heute baut / reist jener morgen ein:
Wo itzund Städte stehn / wird eine Wiesen seyn /
Auff der ein Schäfers-Kind wird spielen mit den Herden.

Was itzund prächtig blüht / sol bald zutretten werden.
Was itzt so pocht vnd trotzt ist morgen Asch vnd Bein /
Nichts ist / das ewig sey / kein Ertz / kein Marmorstein.
Itzt lacht das Glück vns an / bald donnern die Beschwerden.

Der hohen Thaten Ruhm muß wie ein Traum vergehn.
Soll denn das Spiel der Zeit / der leichte Mensch bestehn?
Ach! was ist alles diß / was wir vor köstlich achten /

Als schlechte Nichtigkeit / als Schatten / Staub vnd Wind,
Als eine Wiesen-Blum / die man nicht wider find’t.
Noch wil was ewig ist kein einig Mensch betrachten!

Ich beziehe mich auf die reiche und farbenfrohe Palette des Meisters. Ich kombiniere Schmuck- und Industrieemaille, um möglichst viele Farbpaare zu erhalten – die Farbklänge sind entgegen der Palette des Malers nicht vordergründig delikat und vornehm. Manche sind ungewohnt, manche schrill oder sogar hässlich, manche sind wirklich schön – so wie das Leben.
In ihrem Zusammenspiel erlangen die emaillierten Scheiben eine besondere Schönheit. Diese wird gebrochen durch das zugefügte Vanitas-Symbol – der Totenschädel. Auf den ersten Blick erscheint er wie eine beinerne Perle, die auf dem Scheitel jedes Emaillepaares trohnt. Der zweite Blick gibt das Geheimnis preis und erinnert uns an die Vergänglichkeit.
Schönheit und Vergänglichkeit sind allen Dingen immanent.


Fremde Gärten

Ich liebe Gärten – liebe das darin liegende Versprechen...
Es sind kleine, in sich geschlossene Landschaften mit ganz eigenen, individuellen Gesetzen. Je nachdem Orte der Sehnsucht oder der Nützlichkeit. 
Sie sind so vielfältig und einzigartig wie die Menschen, die in ihnen leben: der Bauern- oder Gemüsegarten, der Lustgarten, der Strebergarten, der Vorgarten, der Barocke Garten, der verwilderte Garten oder der Dachgarten in der Großstadt...
Aber es gibt auch den verwunschenen Garten weiß, kahl, leer mit einem kalten Glanz von Eis.
Der Teich ist  leer gelaufen. Die Blumen verschwunden. Die Tiere verstecken sich und warten...Weiße Landschaft 
Ich lustwandele in einem prächtigen Garten voller Farben. Meine zügellose Palette reiner Farben orange, gelb, hell-, mittel- und stahlblau, grün, rot... das ist mein bunter Bauerngarten alles Farbe! Bauerngarten

Stadtlandschaften

Rosa Garten
Inmitten von Stein, Beton und Großstadtlärm gibt es diese kleinen künstlichen Oasen: Balkone, Dachterrassen, Fensterbretter mit zartem Rosa und Grün.

Schwarze Tulpen.
Licht verschlingende Diamanten_schwarze Tulpenzwiebeln aus Amsterdam habe ich für meinen kleinen Vorgarten gekauft, in die Erde gebracht und gewartet, ungeduldig! Es ist nie was draus geworden.
 
Blauer Garten. Blauer Lapislazuli.
Ich hätte so gern einen strahlend blauen Teich in meinem Garten, umgeben von Grün und Rot im Juni. 

Fische auf Seerosenblättern.
Seerosenblätter über die goldene Fische springen. Ein kurzes Aufstrahlen der glänzenden Fischleiber, kalte Augen funkeln wie Diamant.  Nur ein kurzer Moment.  In der Tiefe lauert der Räuber und zwingt die Fische zum Äußersten.

Insekten

Spiel mit Proportionen, Balance und Materialität

Die Schönheit von Schmetterlingen, Motten und Schrecken macht sie zu begehrten Sammlungsobjekten.
Mit Nadeln gehalten, finden wir sie in Sammlerschaukästen, konserviert im Moment des Sterbens und der vollkommenen Schönheit und Vitalität.
Hinter dem Glas sind sie unnahbar.
Meine metallischen Flieger, angelehnt an Gottesanbeterin, Trugmotte oder Schmetterling sollen fliegen können.
Das ist nicht wortwörtlich eher metaphorisch gemeint.
Der Bauplan dieser metallischen Insekten fordert eine Leichtigkeit, wie wir sie bei gefalteten Papierfliegern finden.
Vibrierender, federhart gewalzter Edelstahl trägt prächtige, flügelähnliche Formen aus unterschiedlichsten Metallen, die bei der leisesten Berührung schwingen.
Die erstarrten Formen beginnen zu „leben“, werden nahbar.
Nicht die Morphologie der Insekten ist mein Ausgangspunkt sondern die Metamorphose technoider Teile zu insektenähnlichen Anhängern.


Vineta

Erinnerungen an eine versunkene Kultur aus der Tiefe geborgen, von jeglicher Bedeutung entkleidet und aneinandergereiht.

Die rät­selhaften Ob­jek­te sind ma­te­ri­a­li­sier­tes Nach­den­ken, sind For­men aus Na­tur und­ Tech­nik, sind Ge­schich­ten aus Ti­tan, ­Gold, Sil­ber, Ei­sen­blech, Stein und Edel­stein.
Gesammelt werden Fragmente, aufgereiht und geschützt wie ein Sammler es tut.
Woher sie kommen oder was sie sein wollen, ist unwichtig.
Wichtig für mich war die Idee des Schutzes und des Geheimnisses.
Die Legende besagt: Vor ca.1000 Jahren wurde die wohlhabende und mächtige Stadt an der Ostseeküste mit dem Namen Vineta vom Meer verschlungen... als eine Art Strafe für Verschwendungssucht und Arroganz. Bis heute konnte niemand die Reste der Stadt finden.
Ich frage mich: Welche geheimnisvollen Teile der versunkenen Stadt könnten auf dem Meeresgrund gefunden werden?


Artefakte

Ich suche das Unbewusste, den Zufall. Ich will entdecken und lasse geschehen.

Ich arbeite gerne mit Wachs. Ich benutze dünne, fragile Wachsplatten, mit denen ich schnell und spontan arbeiten kann. Wie mit dem Bleistift oder Pinsel auf Papier skizziere ich erste Formen und Ideen. Auf diese Weise entstehen hohl gebaute Gebilde, die ich im weiteren Verlauf verändere. Ich zertrenne sie, schneide sie auf, zerstöre sie teilweise, füge sie in einem anderen Kontext wieder zusammen.
Ich begebe mich auf die Suche. Mich treibt die Neugier.
Ich gieße meine Wachsmodelle in der sogenannten Technik der „verlorenen Form“ mit einer altertümlichen Handschleuder, nicht aus Sentimentalität oder weil ich die moderne Gusstechnik ablehne. Die Guss-und Luftkanäle, ebenso die Gussköpfe sind wichtiger Bestandteil meiner Formen. Und natürlich liebe ich das Risiko, das zum Gelingen dazugehört. Ich muss meinen vollen körperlichen Einsatz bringen, um diese glühenden Küvetten zu schleudern, damit das geschmolzene Metall die Wachsform ersetzt, damit aus meiner Wachsskizze ein haltbarer Gegenstand wird.
Die Ergebnisse sind nicht ganz perfekt, aber sehr überraschend. Das macht die Stücke für mich ausdrucksstark und interessant.


Tiere

Tiere in der Stadt. Sie erobern das Terrain zurück.

Das Tier fungiert als Medium, mit dem der Mensch seine Existenz beleuchtet, in Frage stellt und in Beziehung zu anderen Lebensformen und zum Kosmos setzt.
Meine Mischwesen changieren zwischen Lebewesen und Technik, zwischen Verfremdung und Wiedererkennbarkeit.


Text: Barbara Maas

Metall-Metamorphosen

Im Jugendstil gehörten die üppigen Blüten des roten Klatschmohns zu den bevorzugten Motiven des Schmucks und wurden ob ihrer betörenden Farbigkeit und ihres hohen Symbolgehaltes geschätzt. Aus Email oder roten Schmucksteinen komponiert, galten die Mohnblumen der Jahrhundertwende – ganz im Einklang mit der Wertschätzung ihrer narkotischen Wirkung durch die Literatur des Symbolismus – als Metapher für den Schlaf, für rauschhaftes Vergessen. „Gefranste Kelche auseinanderschlagend, die fieberhaft das Mohngefäß umgeben“, wie Rilke es poetisch formulierte, ist dieser Mohn sinnlich und ambivalent.

Bei Andrea Wippermann lassen die opulenten Mohnblüten, die sich da zu dritt zu einem beeindruckenden Halsschmuck gruppieren, nicht den Hauch irgendeines Rots erkennen. Sie erblühen hellsilbern. Dies mag zunächst Befremden auslösen, verliert aber an Abwegigkeit, wenn man sich in Erinnerung ruft, dass der Sage nach die Mohnblume aus den Tränen Aphrodites über den Tod ihres Geliebten Adonis entsprang – und Tränen im Märchen sind ja bekanntlich silbern.

Die knittrige, zerfranste Empfindlichkeit der zarten Mohnblütenblätter fängt Wippermann virtuos im hauchdünnen Blech des Silbers ein, dessen Bearbeitung im Innern der ausladenden Blütenkelche durch Spiegelungen eine durchscheinend gläsern wirkende, bodenlose Tiefe erzeugt, in der man sich verlieren kann. Es sind dieser quasi-transparente Effekt und die intensive Leuchtkraft des Silbers, in denen die charakteristischen Merkmale des Mohns, seine Verletzlichkeit ebenso wie die Wucht seiner Farbe, eine gelungene Übersetzung finden.

Von der Wandlungsfähigkeit des Metalls und dem Reichtum seiner Materialsprache zeugen fast alle Arbeiten der Schmuckkünstlerin aus Halle an der Saale und Absolventin der unverwechselbaren Hochschule für Kunst und Design Burg Giebichenstein. Mal werden schmale Streifen dünner Goldfolie zu zeichenhaft abstrakten Fröschen „gefaltet“, deren dynamische Linien Bewegung suggerieren, mal wird das Gold zu einem voluminösen, trichterförmigen Resonanzkörper aufgezogen, an den sich ein stabartiges Insekt zu klammern scheint. Im letztgenannten Fall formen beide Teile den Anhänger einer Kette, die mit „Zikade“ betitelt ist und die Geräuschkulisse einer unter der Glocke flirrender Mittagshitze liegenden Landschaft des Südens evoziert.

Trotz ihres beachtlichen Formates zeichnen sich diese an die Natur an-gelehnten Arbeiten durch Leichtigkeit und Fragilität aus, Eigenschaften, wie sie auch für eine Reihe von Architekturbroschen konstitutiv sind. Aus dem Jahre 2002 datieren die beiden Broschen „Atico“ und „Wrack“, zerfallende architektonische Strukturen in leuchtend hellgelbem Gold, dessen kraftvolle Farbe einen eigenartigen Kontrast zu dem scheinbar verwitterten, brüchigen Blech bildet mit seinen löchrigen Stellen, Rissen und Ausblühungen. Teile der offenen Raumgebilde sind beschädigt oder weggebrochen und die gesamte Struktur vermittelt den Eindruck, als stünde sie kurz vor dem endgültigen Kollaps. Offenbar erobert hier die Natur das von Menschenhand Geschaffene zurück, stellt es in den natürlichen Kreislauf von Werden und Vergehen. Ähnliches gilt für den Ansteckschmuck „Schiffswrack“, das sich in einem Zustand fortgeschrittener Desintegration befindet und von vergangenen Zeiten, Lebensentwürfen und Hoffnungen kündet. In ihrer Materialität entsprechen diese jüngeren Arbeiten Andrea Wippermanns – einschließlich jener aus den letzten Jahren, die der Reihe „Gärten“ entstammen und in denen farbige Stein-Tupfer zaghaft Blumen erblühen lassen – durchaus den früheren, überwiegend im Schleudergussverfahren hergestellten Stücken. Hier wie dort finden sich Unebenheiten, Beulen, schrundige Stellen und Verkrustungen, Spuren des Bearbeitungsprozesses wie un-saubere Lotnähte, stehengelassene Gusskanäle und andere Unfeinheiten.

Pflanze, Tier, Mensch, Architektur – das sind die zentralen Motive im Schaffen der hallensischen, heute als Professorin in Wismar lehrenden Schmuckkünstlerin, das ohne den formativen Einfluss der legendären „Burg“ und vor allem einer inspirierenden Lehrerin wie Dorothea Prühl gewiss nicht zu denken wäre. Doch nicht minder stark ist der Anteil selbstbewusster Eigenständigkeit und kreativer Individualität, mit der Andrea Wippermann ihr künstlerisches Schaffen auf dieser Grundlage weiterentwickelt hat, ohne sich permanent durch Abgrenzung definieren zu müssen. Vor allem in ihren jüngsten Arbeiten tritt so zur Form in Metall auch zunehmend die Farbe hinzu, seien es korallene Kleintiere, die sich in urbanen Miniatur-Landschaften tummeln, sehr verhalten eingesetzte Schmucksteine, die Blüten symbolisieren, oder verschwenderisch emaillierte Blütenketten, welche sich zu großzügigen, farbenfröhlichen Colliers fügen.

Das gestalterische Interesse Andrea Wippermanns ist vielfältig. Weder beschränkt es sich auf ein einziges, klar umrissenes Thema, noch zielt es in seiner Handlungsabsicht auf eindeutige Lesbarkeit. In seinem Zentrum steht die immerwährende Befragung des Materials.   


Text: Rüdiger Giebler

Schmuck ist immer anders...

Introvertiert oder Gesprächsangebot, unsentimental berechnend, besinnungslos verspielt, manchmal autoaggressiv und im Glücksfall eine intellektuelle Stimulanz. Schmuck macht schöner und reicher, begehrenswerter, legt Hierarchien fest, gibt Ordnung und Halt, gibt Sinn und Sinnlichkeit, lenkt ab von allen Problemzonen des Lebens. Das Meiste davon ist jenseits des Erklärbaren, die reine Imagination. Schmuck reguliert den gewünschten Abstand zum Gegenüber und signalisiert gewollte Nähe. Für manche Details muss man schon nah genug rankommen. Sprödigkeit, Sperrigkeit oder ein extremer Material-wert geben eine Mindestdistanz vor.
Schmuck ist verdinglichte Zeichensprache. Man tauscht sich aus über gemeinsame Codes, separiert sich. Außerhalb der Gruppe sind es unverständliche Zeichen.
Für Abhängige ist der Schmuck schon ein Teil des Körpers, nicht im Sinn einer Prothese, eher einer Organerweiterung. Große Ernsthaftigkeit geht von diesen Dingen aus. Schmuck ist ein Teil des Selbstverständnisses. Wenn er richtig gut ist, ist er zeitlos, nah an der bleibenden Jugend.
Das Schöne am Schmuck ist seine Selbstverständlichkeit, dass Dinge entstehen aus einer unausgesprochenen Übereinkunft zwischen Autor und Publikum. Diese Kommunikation ist ein Rätsel, schon deshalb, weil vieles am Objekt rein fiktional ist. Ohne die Einbildungen des Trägers und die des Betrachters wäre Schmuck nicht. Schmuck ist die Kunstform, die von vornherein Einverständnis mit der Welt anzeigt. Wozu Zweifel?
Es geht um Vermögen, Werthaltigkeit und Gedächtnis, um Materialwerte und die Raffinessen der Ausführung. Diese Kleinteile sind Speicher, Sammlungen von Aufgefädeltem, Aufgelesenem, eine Art Vorratshaltung, manches natürlich auch nur eine sympathische Gedankenlosigkeit. Dingliches wird magisch, die Objekte besitzen ein Eigenleben, sie werden zu kleine Götzen, Zaubergeräten, Glücksbringern. Statusverhältnisse von Macht und Abhängigkeit definieren sich über Selbst-wertgefühl, Rollenspiele, Würde, Anerkennung. Schmuck gibt Halt. Wird Schmuck vererbt, wird Emotion nachgeladen.
Schmuck ist sauber, etwas Reines und Klares. Er ist eine vorgeführte, getragene Intimität und der materielle Beweis, eine Initiation über-standen zu haben. Schmuck ist Kommunikationsmittel und materialisierte Aura, Spielzeug und die letzte Reserve. Das Wenige wird auf einmal ganz viel.
Das sind alles Geschichten. Tagträumereien. Sie setzen sich zusammen aus kleinen handlichen Formen, Vereinfachungen von Dingen, Formen, die sich weit von ihren Vorlagen entfernen, sie umschreiben, nachbauen und umdeuten. Kleine Plastiken. Ein materialisiertes Nachdenken, Formen aus Natur und Technik, Geschichten aus Titan, Gold, Silber, Eisenblech, Stein und Edelstein.
Ausgangsmaterialien sind für Andrea Wippermann neben den flora-len Formen Vögel, Frösche und sonstiges Kleingetier, Architektur und markante Landschaftsdetails, ein Blick aus dem Zugfenster, ein Riss im Putz, Dinge, die hinter einem Schuppen abgestellt sind. Muster werden beobachtet, die sich in Reihen, Ansammlungen, Kreisspuren, Ringen, Ketten bilden. Bei der Arbeit entsteht eine andere neue Ordnung unter der Hand der Sammlerin, die Suche einer Geschichte, eines Alphabets. Ein leichtes Verschieben, Drehen, Rücken, Auswechseln – ein Spiel innerer Versenkung.
Der handwerkliche Fertigungsprozess ist Teil der Beobachtung, während da gesägt, gefeilt, gehämmert, gegossen und emailliert wird, läuft die Suche nach Übereinstimmungen, nach Ähnlichkeiten. Die Formen klären sich während ihrer Bearbeitung.
Manches mutet an wie winzige Gefäße, Behältnisse, Blütenkelche, An-lehnungen an Naturformen. Das Blatt, der Kern, die Schale – Zeichen für Zeit, Personen, Orte, Geschehnisse, Fragen. Was jetzt einfach, klar und reduziert erscheint, wurde aus einer langen Kette von Vorgängermodellen abstrahiert, aus immer wieder variierten Themen und Formen. Blüten sind hier ein Bild des Individuums: ein Moment im Kreislauf seines Entstehens – Aufblühen, Verwelken und Absterben – als Objekt schon in sich ein Symbol eines Kreislaufes. Andrea Wippermann fragt, was bleibt von einer Form aus der Natur. Wie viel Reduktion ist möglich, wann kippt die Erkennbarkeit. Was ist die Essenz.
Es gibt aufgefädelte Frösche aus Goldblech, deren Beinchen nachzittern wie bei einem galvanischen Experiment, wenn sie getragen werden auf der Brust, es gibt Metamorphosen vom Federvieh hin zu den gefal-teten Fliegern.
Und der Seerosenteich aus emaillierten Scheiben – in den Teich taucht man ein, wenn man sich die Kette umhängt, um dann mit dem Kopf zwischen den Blättern der Wasserpflanzen aufzutauchen. Die monochrome Malerei auf den Blättern vereint sich zu einer rotierenden Komposition. Das Spiel überlistet die Zeit, alles dreht sich, aber die Kreise und Wellen bilden keinen herabziehenden Strudel. Der sanfte Kreislauf treibender Blüten fördert eine behagliche Meditation über Ordnung und Zufall, über verwehtes Laub mit Goldauflage, einen ewigen Reigen, Licht auf dem Wasser.
Schön behaglich ist es in dem System jenseits des Laubfalls, während der melancholiefreien Betrachtung treibender Blütenblätter. Darf das so heiter sein? Die Emaille zeigt klare Farben. Sie schimmert leicht transparent wie ein leuchtender Lack. Der Glasfluss auf dem Blech gleicht der Wachsschicht einer gespannten und porösen Blatthaut. Die ganz und gar gelöste Komposition scheint immer im Licht.
Ringe und Broschen – Architekturminiaturen im Versuchsstadium – wie Querschnitte von Gebäuden oder als wäre jemand mit der Kettensäge einmal längs durch die Gartenlaube gefahren, manches auch wie ab-getrennte Segmente von Raumstationen, klare Kuben oder verschachtelte Objekte, die aus zerschnittenen Formen neu zusammengesetzt wurden. Die Betriebsenergie glüht in den gefassten Steinen nach. Aufgebaut wird diese Minimalarchitektur aus feinen Wachsplatten. Beim Guss geht das Modell verlorenen, die Gusskanäle bleiben mitunter stehen, wie nach außen verlegte Versorgungsleitungen der Häuserchen. Das Reduzierte, die Lücke, der Freiraum sind Teile der Objekte. Der Betrachter komponiert den Rest. Die rätselhaften Objekte mit den klaren Formen, geschnittenen Kanten, sauberen Brüchen sind offensichtlich nicht aus dem Chaos entstanden.
Alles ist Blech, ist Goldwert und Mehrwert – der Titel einer Arbeit ist eine Annäherung, Verführung zur Lyrik. Da gibt es nichts rumzudeuteln, nur oszillierend assoziieren.